Tunesien hat Großes geleistet

Tunesien hat Großes geleistet

Was die Menschen zurzeit umtreibe sei die drohende Spaltung der großen säkularen Regierungspartei Nidaa Tounes, die sich bei den letzten Parlamentswahlen mit dem Versprechen von Stabilität, Autorität und Kontinuität gegen die islamisch-konservative Ennahda Partei durchgesetzt hatte. Dies bilde auch die Spaltung in der Bevölkerung zwischen progressiven und konservativen Kräften ab, erläutert Erbel.

„Die bisherigen Erfolge der demokratischen Transformation Tunesiens lassen sich langfristig nur wahren, wenn dem Land auch eine ähnlich erfolgreiche wirtschaftliche Wende gelingt“, verdeutlicht der Stiftungsexperte. Vor allem gelte es, durch kluge Politik Arbeitsplätze zu schaffen, Armut zu bekämpfen und regionale Gegensätze zu reduzieren.

Lesen Sie hier das vollständige Interview.

Rechtsstaatprüfung ist ein großer Fortschritt

Rechtsstaatprüfung ist ein großer Fortschritt

„Es gibt zwei starke Indizien, die darauf hindeuten, dass der Rechtsstaat ausgehebelt werden könnte. Wenn die Freiheit des Verfassungsgerichtes eingeschränkt und die Medienfreiheit untergraben wird, sind das sehr deutliche Hinweise, die wir nicht übersehen dürfen“, erläuterte Lambsdorff gegenüber der „Märkischen Allgemeinen“. Für den Freidemokraten steht fest, dass die Gespräche zwischen der EU und Polen etwas bewegen können: „Man sollte dieses Prinzip ‚Wir müssen darüber reden‘ nicht zu tief hängen. Eine solche Prüfung ist schon ein großer Fortschritt.“

Warschau weist EU-Kritik zurück

Die klaren Worte aus Warschau überraschten den Freidemokraten nicht, zu Beginn eines Dialogs müssten beide Seiten ihre Position verdeutlichen. Die Hoffnung in Brüssel sei, dass sich Warschau im Verlauf eines solchen Dialoges insbesondere bei der Frage des Verfassungsgerichts bewegen werde, erklärte Lambsdorff. „Denn dieses Gesetz ist nichts anderes als die Lähmung der dritten Gewalt im polnischen Staatsaufbau, und das ist etwas, was mit den Werten der Europäischen Union nicht vereinbar ist.“

Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo dürfe ihr demokratisches Mandat ausüben, allerdings dürfe sie nicht die Axt an die Wurzel der Rechtsstaatlichkeit legen. „Das sind europäische Werte, die da betroffen sind, und die wollen wir gemeinsam verteidigen.“

Lesen Sie hier das vollständige Interview im „SWR“

Frage: Dieses Verfahren gibt es erst seit einem knappen Jahr. Ist das der richtige Weg, den die EU-Kommission da einschlägt?

LAMBSDORFF: Dieses Verfahren ist der richtige Weg, es ist mehr als ein einfaches Vertragsverletzungsverfahren, was ja sehr technisch ist, und weniger als das, was unter Diplomaten hier in Brüssel die „Atombombe“ genannt wird, also gleich die Drohung mit dem Entzug des Stimmrechts. Es ist ein Verfahren, das einen Dialog ermöglicht zwischen einem betroffenen Staat und den Institutionen der Europäischen Union. Übrigens ein Verfahren, das ganz stark auf eine Initiative der Liberalen zurückgegangen ist. Das war eine Initiative damals von Außenminister Westerwelle, so etwas einzuführen. Ich bin froh, dass wir das jetzt anwenden können.

Frage: Das was man jetzt aus Polen im Moment hört von der rechts-nationalen Regierung ist aber eher auf Konfrontation gebürstet. Meinen Sie, dass man mit Dialog denn weiterkommt?

LAMBSDORFF: Also auf jeden Fall muss man den Dialog zunächst einmal beginnen, und ich finde es auch nicht überraschend, dass zu Beginn des Dialoges beide Seiten zunächst einmal ihre Positionen darlegen, so wie sie sie für richtig halten. Im Laufe eines solchen Dialoges, das ist jedenfalls die Hoffnung hier in Brüssel, wird sich Warschau insbesondere bei der Frage des Verfassungsgerichts bewegen. Denn dieses Gesetz, Sie haben das in der Anmoderation freundlich „Reform“ genannt, dieses Gesetz ist nichts anderes als die Lähmung der dritten Gewalt im polnischen Staatsaufbau, und das ist etwas, was mit den Werten der Europäischen Union nicht vereinbar ist.

Frage: Der Einfluss der EU ist aber begrenzt. Die Staats- und Regierungschefs müssten einstimmig die Verletzung europäischer Werte in Polen feststellen. Erst dann wären Sanktionen möglich. Und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat bereits angekündigt, sein Veto einzulegen, also immer auf der Seite Polens zu stehen. Was bringt also das Vorgehen der EU-Kommission letztendlich?

LAMBSDORFF: Nun vergessen wir nicht, dass wir in Polen ja eine sehr aktive Zivilgesellschaft haben. Wir haben große Demonstrationen in vielen polnischen Städten gehabt am letzten Samstag, genau gegen dieses Vorgehen der Regierung. Die Regierung hat in den Wahlen ungefähr 38 Prozent gekriegt und wegen des Wahlrechts dann die absolute Mehrheit der Sitze. Aber es ist nicht so, als ob sie ein überragendes Mandat bekommen hätte, den gesamten Staat umzubauen. Und ich glaube, das muss man der Regierung in Warschau klar machen, dass selbstverständlich ihr demokratischer Wahlsieg respektiert wird, einerseits. Aber andererseits, wenn es darum geht, Grundfreiheiten, Grundrechte, die Gewaltenteilung zu verteidigen, dann ist Polen als Mitgliedsstaat der Europäischen Union verpflichtet, genau das zu tun. Und ich glaube, es bringt schon etwas, wenn man aus Brüssel das mit allem Nachdruck deutlich macht. Auf dem Weg zu Sanktionen, das ist das, wie ich eben den Artikel 7 genannt habe, die sogenannte „Atombombe“, da sind wir noch lange nicht, da könnte Viktor Orban dann ein Veto einlegen. Aber, wie gesagt, wir sind am Anfang eines Prozesses.

Frage: Die EU-Kommission ist die eine Institution, dann gibt es aber auch das Europäische Parlament, dessen Vizepräsident sie ja sind. Kommenden Dienstag debattiert das EU-Parlament über die politische Lage in Polen. Ministerpräsidentin Beata Szydlo will teilnehmen. Graf Lambsdorff, ganz kurz noch, was werden Sie ihr sagen?

LAMBSDORFF: Dass sie selbstverständlich ihr demokratisches Mandat ausüben darf, dass sie aber nicht die Axt an die Wurzel der Rechtsstaatlichkeit legen darf. Das sind europäische Werte, die da betroffen sind, und die wollen wir gemeinsam verteidigen.

Sie wollen ein Problem verdrängen

Sie wollen ein Problem verdrängen

Die Vizepräsidentin des Bundestages, Claudia Roth, hatte die Übergriffe an Silvester zwar scharf verurteilt. Gleichzeitig sagte sie aber gegenüber der Welt: „Es gibt auch im Karneval oder auf dem Oktoberfest immer wieder sexualisierte Gewalt gegen Frauen.“ Ein großer Teil der öffentlichen Empörung würde sich ihrer Meinung nach nicht gegen sexualisierte Gewalt, sondern auf die Aussagen, dass die mutmaßlichen Täter nordafrikanisch und arabisch aussehen, richten.

Meinen offenen Brief an Claudia Roth über ihre verharmlosenden Aussagen zu den Vorfällen in Köln und Hamburg…

Posted by Katja Suding on Dienstag, 12. Januar 2016

Vergleich ist nicht haltbar

Für FDP-Vize Katja Suding ist der Vergleich der Silvesterereignisse mit dem Oktoberfest nicht haltbar. „Was ist in Sie gefahren, wenn Sie so die schwere Übergriffe der letzten Wochen verniedlichen?“, fragt Suding in dem offenen Brief in der „Welt“. Dieses Problem kleinzureden, nutze niemandem: „Nicht den verängstigten Frauen, die sich nach dem Übergriff auf der Straße quasi einen zweiten politischen Übergriff der Gleichgültigkeit durch Sie gefallen lassen müssen. Und nicht den Polizisten, Staatsanwälten und Richtern, die statt Unterstützung von Ihrer Seite eine Art Generalentschuldigung vor die Füße geworfen bekommen – nach Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“

German Mut statt German Angst

Natürlich habe es in Deutschland auch vor den Flüchtlingsströmen schon Belästigungen, Gewalt gegen Frauen, Raub und Vergewaltigung gegeben. Diese Selbstverständlichkeit jetzt zu betonen, könne ihrer Meinung nach nur einem Zweck dienen: „Sie wollen öffentlich verdrängen, dass es in der Tat ein signifikantes Problem mit einem Teil der in der letzten Zeit zu uns gekommenen jungen Männer aus fremden Kulturkreisen, vor allem aus Nordafrika und dem arabischen Raum, gibt.“

Suding verfolgt den Ansatz: „Wir müssen stattdessen sagen, dass es mit einem Teil junger Männer aus Nordafrika schwerste Integrationsprobleme gibt, die wir nur auf zwei Wegen lösen können: Schnellste Umkehr und Akzeptanz unserer freiheitlichen Werte. Oder rasche Rückkehr, auch unfreiwillige, in ihre Herkunftsländer.“ Dafür brauche es mehr Mittel für Bildung und Integration sowie für Polizei und Justiz. „Dazu braucht es gelebte Willkommenskultur, die Flüchtlingen unsere Werte klar vermittelt. Und dazu braucht es German Mut und nicht German Angst.“

Staat muss durchsetzungsfähig sein

Staat muss durchsetzungsfähig sein

Nötig sei ein umfassendes Konzept, „um unsere Rechtsordnung zu wahren und die Bürger zu schützen“, forderte der FDP-Chef. Der Innenminister sitze einer Fehlannahme auf, wenn er meine, dass Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Kölner Polizei oder die Sicherheit in NRW sei allein durch den Austausch des Polizeipräsidenten wieder hergestellt, betonte Lindner.

Die Forderung nach härteren Gesetzen eint aktuell Sozialdemokraten, Christdemokraten und auch die AfD. Der Freidemokrat betonte allerdings, dass es aus seiner Sicht keine Probleme der Gesetzgebung gebe, „sondern des Vollzugs von Gesetzen“. Gegenüber der „dpa“ stellte Lindner klar: „Falsche Rücksichtnahme und mangelhafte Ausstattung rauben dem Staat seine Durchsetzungsfähigkeit.“

Vertrauen in Rechtsstaat steht auf dem Spiel

„Die widerlichen sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln, Hamburg und Stuttgart haben Deutschland in seinen Grundfesten erschüttert“, unterstrich die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer. Was zunächst wie eine Bedrohung vor allem bei Massenveranstaltungen gewirkt habe, entpuppe sich rund zwei Wochen später als brutaler Alltag herausgestellt. Denn: „Trotz erhöhter Wachsamkeit der Sicherheitskräfte sind Frauen weiterhin Opfer männlicher Gewalt am Kölner Hauptbahnhof und anderswo.“

Die Bundesregierung plane das Sexualstrafrecht zu verschärfen und verurteilte Täter, die im Asylverfahren seien, schneller abzuschieben. „Richtige Ansätze, die nun aber auch konsequent verfolgt werden müssen. Wenn es wieder einmal nur bei Ankündigungen bleibt, steht das Vertrauen der Bürger in Demokratie und Rechtsstaat auf dem Spiel“, warnte die Freidemokratin.

 

Generalverurteilung nicht zielführend

Generalverurteilung nicht zielführend

Lambsdorff nahm Bezug auf das Verfahren nach Artikel 7 des Lissabon Vertrages: Die Kommission wolle die Lage in Polen überprüfen, um sich nicht erneut – wie im Falle Ungarns – Untätigkeit vorwerfen zu lassen. Obwohl die Situation der Bürgerrechte in Ungarn viel prekärer sei, bestehe ein großer Unterschied zwischen den Staaten: „Viktor Orbán ist Mitglied der christdemokratischen Parteienfamilie in der Europäischen Union.“ Als Schwesterpartei der CDU stehe der ungarische Ministerpräsident unter dem Schutz der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament. Er fordert hier dringend einen Kurswechsel: „Es ist höchste Zeit, dass auch die Bundeskanzlerin sich hier bewegt, als CDU-Vorsitzende den Weg freimacht.“

Sanktionen gegen die Regierung in Warschau werde es vermutlich nicht geben, erläuterte der Freidemokrat. Denn: Ungarn habe bereits angekündigt, Strafmaßnahmen gegen Polen nicht zu zustimmen. Das Rechtsstaatsverfahren entfalte seine Wirkung dessen ungeachtet. „Der Druck aus der Öffentlichkeit ist ganz wichtig“, unterstrich Lambsdorff gegenüber dem „NDR“.

Zivilgesellschaft braucht Rückendeckung

In Polen gebe es eine sehr lebhafte Zivilgesellschaft, die auch noch nicht von ihrer Regierung so drangsaliert werde, wie das in Ungarn der Fall sei, erklärte Lambsdorff mit Blick auf Demonstrationen gegen die neuen Gesetze. „Diese Menschen müssen wissen, dass Brüssel sie unterstützt, wenn es darum geht, den Rechtsstaat  zu wahren“, erklärte Lambsdorff gegeüber dem „NDR“.

Lesen Sie hier das vollständige Interview im „Deutschlandfunk“

Frage: Warum diese harsche Haltung aus Brüssel gegenüber Warschau?

LAMBSDORFF: Ich glaube, dass das, was in Warschau passiert, eine Erinnerung an das ist, was in Ungarn alles passiert ist. Man konnte gegen Ungarn nicht vorgehen, weil sich die Christdemokraten, die Europäische Volkspartei massiv dagegen gesperrt haben. Die Kommission will sich nicht noch einmal vorwerfen lassen, in einer solchen Situation nichts getan zu haben.

Frage: Und es gab diesen Mechanismus doch auch noch gar nicht.

LAMBSDORFF: Nun, aber es gab natürlich den Artikel sieben und die Vorermittlungen zu Artikel 7. Der Rechtsstaatsmechanismus ist letztlich nichts anderes als das, was die Kommission unter Artikel 7 im Vorfeld hätte tun können, hätte ermitteln müssen. Das ist bei Ungarn unterblieben. Man will es jetzt bei Warschau tun, um sich dem Vorwurf nicht auszusetzen, hier nicht zu handeln.

Frage: Die Verteidigungshaltung in Warschau ist, angesichts der Töne, die aus Brüssel kommen, womöglich verständlich, Graf Lambsdorff. Der Parlamentspräsident Martin Schulz von der SPD spricht von einem Staatsstreich in Polen, von einer gelenkten Demokratie, die in Polen entstehe, a la Putin. Das sind Töne, die in Warschau zu Widerstand führen müssen.

LAMBSDORFF: Dieser verbale Amoklauf von Martin Schulz hier ist ein Geschenk natürlich für die neue Regierung in Warschau, denn sie bestätigt scheinbar die Haltung im gesamten Westen, dass Polen ein Land ist, das unter Kontrolle gestellt werden muss, das ein Opfer von solcher Einstellung ist. Es ist eine Reihe von Äußerungen von Martin Schulz, die sowohl antideutsche als auch antieuropäische Gefühle in Polen verstärken. Ich halte das für überhaupt nicht zielführend. Es ist richtig, dass man von Europa aus auf die Einhaltung der rechtsstaatlichen Grundlagen achtet. Es ist nicht richtig, wenn man das Land pauschal verurteilt und auf eine Stufe mit Putins Russland stellt. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg.

Frage: Kaczynskis PiS hat vor der Wahl ihren Wählern versprochen, wir werden Einfluss nehmen auf die Medien, und jetzt geschieht nach der Wahl genau das, was man vor der Wahl versprochen hat. Das ist anzuerkennen in Brüssel, oder?

LAMBSDORFF: Na ja. Man kann Einfluss nehmen auf die Medien auf, ich sage mal, eine normale Art und Weise, wenn turnusgemäß die Stellen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk neu besetzt werden müssen, dass man dann seine Mehrheiten beispielsweise in Rundfunkräten – so kennen wir das in Deutschland ja auch – dazu nutzt, Leute dort hinzusetzen, die einem näher sind als vielleicht diejenigen, die bis dahin dort waren. Das was jetzt allerdings passiert ist, da geht es nicht um die Spitzenpositionen allein im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Da geht es tatsächlich um die einzelnen Korrespondenten, die einzelnen Redakteursstellen. Das heißt, es geht erheblich weiter, erheblich tiefer als alles, was wir aus Deutschland kennen. Man muss aber eines auch sagen: In Ungarn ist die Situation viel dramatischer. Was in Warschau beschlossen worden ist, betrifft ausschließlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Drangsalierung auch der privaten Rundfunksender, wie wir die aus Budapest kennen, die haben wir in Warschau nicht. Also auch hier ist es richtig, mit Augenmaß an die Sache heranzugehen.

Frage: Und wann kommt das Rechtsstaatsverfahren oder die Frage, ob das alles so seine Richtigkeit hat, was Ungarn betrifft?

LAMBSDORFF: Na ja, das ist eine gute Frage, Herr Grieß. Ich habe meine Sorge, dass dieses Verfahren nie kommt. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Jaroslaw Kaczynski und seiner Partei in Polen und Viktor Orbán und seiner Partei in Ungarn, und das ist folgender: Viktor Orbán ist Mitglied der christdemokratischen Parteienfamilie in der Europäischen Union. Das heißt, er ist eine Schwesterpartei mit seiner Partei von CDU und CSU, die, obwohl die Lage in Ungarn erheblich schlimmer, erheblich kritischer ist als in Polen, bisher alles verhindert haben, was dazu hätte führen können, ein solches Verfahren durchzuführen, also die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn zu untersuchen. Es ist höchste Zeit, dass auch die Bundeskanzlerin sich hier bewegt, als CDU-Vorsitzende den Weg dafür freimacht.

Frage: Noch einmal, Herr Lambsdorff, zum Fall Polen. Wenn es am Ende kaum möglich sein wird, ernsthafte Sanktionen gegen Polen womöglich zu erreichen, warum beginnt man dann so ein watteweiches Verfahren?

LAMBSDORFF: Nun, ich glaube, dass dieses sogenannte Rechtsstaatsverfahren, dieser Rechtsstaatsmechanismus nicht watteweich ist, sondern er hat natürlich eine politische Wirkung. Alleine die Tatsache, dass wir hier heute Morgen darüber reden, zeigt ja, dass er eine Wirkung hat. Der Druck, der Druck auf die polnische Regierung wird, glaube ich, wachsen. Er wird vor allem diejenigen in Polen ermutigen, die gegen diese rechtsstaatswidrigen Maßnahmen demonstrieren. Auch hier gibt es ja einen Unterschied zu Ungarn. In Polen gibt es eine sehr lebhafte Zivilgesellschaft, die auch noch nicht von ihrer Regierung so drangsaliert wird, wie das in Ungarn der Fall ist, und die gehen auf die Straße. Am Samstag waren Zehntausende in ganz Polen auf der Straße, um zu demonstrieren. Diese Menschen wollen Unterstützung aus Brüssel, diese Menschen wollen Unterstützung der Europäischen Union, und die sollten wir ihnen dann auch zukommen lassen.

Frage: Es ist so, dass die Bundeskanzlerin mehrfach darauf gedrängt hat und weiter darauf drängt, dass osteuropäische Länder auch Flüchtlinge aufnehmen, unter anderem auch Polen. Die polnische Regierung sperrt sich. Mit diesem Verfahren, das Sie verteidigen, Herr Lambsdorff, werden Sie die Zustimmung Polens wohl kaum gewinnen können.

LAMBSDORFF: Sie haben Recht, Herr Grieß. Es mag einen Zusammenhang geben. Das erklärt unter Umständen auch, warum Volker Kauder und andere CDU-Politiker jetzt derartig auf Warschau einschlagen. Ich glaube nur, dass der entscheidende Punkt hier einer ist, der viel tiefer geht als ein aktuelles Problem. Natürlich ist die Flüchtlingskrise schwierig zu lösen. Natürlich brauchen wir die Solidarität der europäischen Partner. Aber die Bundeskanzlerin hat durch ihre Zickzackpolitik ohne Abstimmung mit Polen, Frankreich oder den anderen erst ein Chaos ausgelöst und versucht, jetzt hinterherzuregieren, indem sie die anderen Europäer zur Solidarität auffordert. Das kam ohnehin schon nicht gut an, unabhängig davon. Unabhängig davon muss allerdings ein Rechtsstaatsverfahren eingeleitet werden, wenn es an Fragen geht wie das Verfassungsgericht oder die öffentlich-rechtlichen Medien in der Art und Weise, wie das hier getan wird. Insofern, glaube ich, kann man das hier auch ganz gut trennen.

Frage: Und Sie erwarten, Herr Lambsdorff, dass in Polen entsprechend differenziert wird?

LAMBSDORFF: Ich hoffe, dass da entsprechend differenziert wird. Es ist ja so, dass der Druck auf die öffentlich-rechtlichen Medien nicht dazu führt, dass die gesamte öffentliche, die gesamte politische Diskussion zum Erliegen kommt. Ganz im Gegenteil! Ich habe eben auf die Zivilgesellschaft verwiesen, ich habe auf die privaten Medien verwiesen. Auch die Printmedien sind selbstverständlich frei und diskutieren diese Dinge sehr differenziert. Polen ist ein hoch entwickeltes Land, das in der Europäischen Union angekommen ist, das jetzt mit diesem Wahlergebnis und mit dieser neuen Regierung droht, auf Abwege zu geraten, und ich glaube, in dieser Situation wird in Polen sehr heftig und sehr differenziert diskutiert werden.